Februar 1956 - Wernges

Direkt zum Seiteninhalt

Februar 1956

BRAUCHTUM > Sagen und Geschichten
Anmerkung: Die folgenden Bilder sind natürlich keine Originalaufnahmen. Im Internet habe ich nach möglichst passenden Fotos (Creative Commons CC0 als Public Domain bzw. gemeinfrei) gesucht und diese bearbeitet. 

1956 - Kältester Februar seit 100 Jahren
Die Durchschnittstemperatur betrug deutschlandweit im gesamten Monat -10°C. In Wernges hatten wir nachts unter –20°C, aber es lag kein Schnee. Verzweifelt versuchten wir wenigstens unsere kleine Küche halbwegs erträglich aufzuwärmen. Die Herdplatte glühte, aber die Fensterscheiben und auch die Wände in der Nordostecke waren mit glitzernden Eiskristallen überzogen.
Schließlich zogen wir ins elterliche Schlafzimmer. Dort hatten wir einen Ofen, der etwas besser heizte und der eisige Nordostwind blies hier nicht direkt an die Außenwände.
Warm eingepackt legte ich mich abends ins Bett. Das Problem waren die Füße. Diese wurden tagsüber sicherlich nie richtig warm und mit kalten Füßen kann ich nur schwer einschlafen.
Als Wärmflasche nutzte ich eine mit Sand gefüllte Tonflasche (Marke Schinkenhäger). Diese legte ich tagsüber in den Backofen. Dort wurde sie sehr heiß und ich musste sie zumindest anfangs mit einem Handtuch umwickeln, um mir nicht die Füße zu verbrennen – was natürlich doch vorkam.
Erfreulich war lediglich, dass ich ab und zu schulfrei hatte. An vielen Schulen in Deutschland konnte man nicht alle Klassenräume ausreichend heizen, weil es an Kohle mangelte. Und so fiel der Unterricht im Wechsel für einzelne Klassen auch in Lauterbach aus. Wir hatten dann Kohleferien.
 
 
Großer Schreck
Mit dem Milchkännchen auf dem Weg nach Sippels, sah ich, dass aus den Spalten der Kellertür Qualm in den Flur drang. Ich öffnete die Tür und war sofort von dichtem Rauch umgeben. Offensichtlich brannte es im Keller. Schnell schloss ich die Tür wieder und informierte lautstark die restlichen Bewohner unseres Hauses. Meine Mutter kam sofort und ging durch den schwarzen Qualm einige Stufen die Treppe hinunter und rief dort nach meinem Vater. Sie bekam keine Antwort. Keuchend und hustend kam sie in den Flur zurück.
Mein Vater hatte im Keller an der eingefrorenen Wasserleitung gearbeitet. Da er nicht in den oberen Räumen war, musste er noch im Keller sein.
Meine Oma, fast 80, war tatsächlich bis in den total verrauchten Keller vorgedrungen und wir hörten sie dort nach ihrem Sohn rufen.
Herr Ringmaier, Heimatvertriebener aus dem Sudetenland, wohnte mit seiner Familie in den oberen Räumen. Er durchschaute die Situation und schlug mit einem Kantholz die Kellerfenster von außen ein, damit der Rauch besser abziehen konnte. Mein Bruder und ich zerschlugen im Übereifer auch noch das Glasfenster in der äußeren Kellertür. Wir hätten die unverschlossene Tür auch einfach öffnen können.
Der Rauch zog größtenteils ab und wir konnten die Kellerräume nach meinem Vater durchsuchen. Er war nicht aufzufinden.
Aber dann stand er plötzlich auf der Kellertreppe und schaute sich ungläubig das angerichtete Chaos an.
 
Was war passiert?
Unsere Wasserleitung war, wie bei anderen in Wernges auch, eingefroren. 
Bei Kraushans, unserem Nachbarn in der Flüchtlingsbaracke, hatte mein Vater eine Lötlampe ausgeliehen und damit die Leitungen aufgetaut. Die wären natürlich sofort wieder eingefroren. Deshalb schloss er einen Kohleofen provisorisch an den gemauerten Schornstein an und erwärmte so den Kellerraum.
Zusätzlich dämmte er die Kellerfenster noch mit Stroh. In dem Glauben, das Problem gut gelöst zu haben, brachte er die Lötlampe wieder zurück.
In dieser Zeit rutschte das Ofenrohr aus der Öffnung im Schornstein und der Rauch sammelte sich im Keller – s. o.

Jetzt war Eile geboten. Der mehrfach offene Keller wurde von eisigem Wind durchweht und es bestand die Gefahr, dass die ungeschützten Leitungen sehr schnell einfrieren und platzen würden. Und katastrophal wäre es geworden, wenn Funkenflug aus dem offenen Ofenrohr das überall herumliegende Stroh in Brand gesetzt hätte.
Das Ofenrohr wurde wieder eingesetzt und besser gesichert. Die Fensteröffnungen und auch den Türrahmen zur Waschküche füllten wir mit Stroh und mein Vater verschalte die Öffnungen von außen.
Einige Tage danach wurde im Lauterbacher Anzeiger unter der Überschrift „Großer Schreck durch Kanonenofen“ von unserem Missgeschick berichtet.
Aus dem für uns schrecklichen Erlebnis hatte man eine spaßige Geschichte gemacht und den tatsächliche Ablauf auch etwas abgeändert und „lustige“ Ergänzungen erfunden.
Uns saß der „große Schreck“ allerdings noch in den Knochen. Herzhaft lachen konnten wir jedenfalls nicht.



 
 
Zurück zum Seiteninhalt