Zwei Wirtschaften in Wernges
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Als Wernges noch zwei Wirtschaften hatte
Pedesch Binges
Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Wernges zwei Gaststätten - Pedesch und Binges. Beide hatten auch einen Tante-Emma-Laden. Die Poststation war ebenfalls bei Binges. Hier konnten die Werngeser telefonieren, denn außer dem Bürgermeister und Fritze Hein hatte nach meiner Erinnerung vor 1960 niemand einen Telefonanschluss.
Einmal habe ich nach Berlin telefoniert. Binge Gretchen hatte Kunden im Laden und ich musste warten, bis alle bedient waren. Dann meldete sie mein Gespräch an und ich wartete wieder. Inzwischen kamen Kunden, die mich natürlich fragten, wen ich denn anrufen wolle, was mir gar nicht gefiel.
Die Generalprobe war nachmittags und gleichzeitig Kindervorstellung. In dieser fernsehfreien Zeit war das ein Ereignis, dem man schon Tage vorher entgegen fieberte.
Später (1953?) stellte Pedesch Kall einen Fernsehapparat in die Wirtschaft. Bei einer Sinalco sah ich meinen ersten Fernsehfilm: Der Etappenhase – mit Willi Millowitsch.
Nach der Konfirmation konnte man in die Wirtschaft gehen und bekam dort auch Bier ausgeschenkt. Mit dem Jugendschutzgesetz nahm man es nicht so genau und die Polizei kontrollierte nur sehr selten und war großzügig. Einmal, die Wirtschaft war nach einer Fernsehsendung noch gut besucht, standen plötzlich zwei Polizisten in der Tür. Marianne und Inge waren noch keine 16 und das sah man ihnen auch an. Die Polizisten fragten gar nicht erst nach dem Alter, sondern wollten wissen, ob sie in Begleitung eines Erziehungsberechtigten seien. Die beiden nannten ihren Onkel, den Bürgermeister. Der hatte allerdings noch gar nicht bemerkt, dass seine beiden Nichten auch in der Gaststätte waren, was auch den Polizisten auffiel. Aber man gab sich zufrieden und kontrollierte nicht weiter. Gut für mich. In meiner Jugendzeit war dies die einzige Kontrolle, an die ich mich erinnern kann.
Zum Kartenspielen ging ich oft mit meinem Kumpel Willi nach Pedesch. Dort suchten wir nach einem dritten Mann für Skat. Wenn nicht viel Betrieb war, konnten wir mit dem Wirt spielen. Fanden wir niemanden, dann wurde auch 17 und 4 gespielt.
Wenn es nicht gerade regnete, fuhren wir auch gern mit unseren Mopeds in Gaststätten der Nachbarorte oder sonntags ins Kino nach Lauterbach. Dort hatte man sogar die Auswahl zwischen Casino und Lichtspielhaus.
Die Musikbox lief manchmal ohne Unterbrechung den ganzen Abend und wurde eifrig mit Münzen gefüttert. Neben der Theke hing ein moderner Spielautomat, den man bequem vom Barhocker aus bedienen konnte.
Das Fernsehprogramm bestand hauptsächlich aus Sendepausen. Nachmittags kam manchmal eine Kochsendung mit Clemens Wilmenrod. Der war zwar gar kein Koch, aber er erfand viele neue Gerichte und gab ihnen exotische Namen, so auch den Hawaii-Toast. Außerdem konnte er interessante Geschichtchen erzählen. Wenn möglich habe ich mir als Kind seine Sendung angesehen.
Auch meine Oma bestaunte einmal den kleinen Fernsehapparat. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und fragte verwundert: „Be basse da de da nie?“ (Wie passen denn die (die Menschen) da hinein?)
Die wirtschaftliche Lage wurde für Gaststätten auf dem Dorf nach 1960 immer schwieriger. Die Jugendlichen waren mobil und fuhren in die Disko und zu Hause hielt der Fernsehapparat viele davon ab, abends auszugehen. In beiden Gaststätten versuchte man durch Veränderungen den Rückgang aufzuhalten.
Pedesch boten Verpflegung und Unterbringung für Sommerfrischler (So nannte man die Touristen damals.) an. Einer großen Gruppe aus dem Saarland gefiel es in Wernges und bei Pedesch so gut, dass sie über mehrere Jahre kamen und auch abends die Wirtschaft füllten. Ich kann mich noch gut an einige feucht fröhliche Abende mit den Saarländern erinnern. Als Geschenk für Wernges zimmerten sie eine Bank aus Birkenholz und stellten sie am Waldrand zum alten Schießstand auf. In der Lehne war ebenfalls aus Birkenholz in Großbuchstaben SAAR zu lesen. Leider hielt sie nicht lange und jetzt steht dort schon die zweite „Nachfolgebank“. Für Inge und mich ist es aber noch immer die Saarbank.
Trotz der erfolgreichen Werbung um Sommerfrischler wurde der Betrieb, wie in den meisten Dörfern, eingestellt.
In der ehemaligen Wirtschaft zum gemütlichen Eck ging es einige Jahre bergauf. Lietze Gabi übernahm 1985 die Gaststätte. Eine gute Küche und ihr Geschick im Umgang mit Menschen füllten die Wirtschaft und sorgten zusätzlich für Übernachtungsgäste. Werner, ihr Mann, verbesserte und reparierte mit handwerklichem Talent Gebäude und Räume und half auch in der Wirtschaft. Wernges hatte eine florierende Wirtschaft.
Völlig maßlose Geldforderungen des Besitzers zwangen Gabi im Jahr 2000 den Betrieb aufzugeben. Niemand übernahm die Gaststätte. Im Laufe der Jahre wurde das Gebäude zur Bauruine und Schandfleck in Wernges.
Als Gabi noch die Wirtin war! Heute!