Milchverwertung - Wernges

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Milchverwertung

DORFLEBEN > Arbeiten in Haus und Hof
Milchgewinnung und –verwertung

In meiner Kindheit (50er Jahre) wurde in Wernges noch mit der Hand gemolken. Bei Sippels holte ich die frisch gemolkene Milch mit dem Milchkännchen und konnte dabei das Melken und die Weiterverarbeitung der Milch beobachten.
  Zunächst wurde das Euter mit einem Tuch und Wasser gereinigt. In den Kuhställen wimmelte es von Fliegen. Die störten nicht nur die Melkerin sondern auch die Kühe. Manche versuchten sich mit dem Schwanz der Quälgeister zu erwehren und konnten dabei schmerzhaft das Gesicht treffen.
Bei diesen Kühen wurde der Schwanz mit Presskordel am Bein festgebunden. Beim Melken saß man auf einem Melkschemel. Wenn es schnell gehen sollte, konnte man die anstrengende Arbeit auch kniend bewältigen.
Für eine Kuh benötigte man etwa 10 Minuten. War der Melkeimer voll, so wurde die Milch durch ein Siebtuch geschüttet und so von Fliegen, Strohhalmen und anderen Verunreinigungen gesäubert.

Pauls Marie beim Sieben der Milch

Die noch warme Milch musste dann gekühlt werden. Dazu stellte man die Milchkannen bis zum nächsten Morgen in kaltes Wasser.
Sehr früh wurden die Kannen zur nächsten Milchbank geschleppt und dort vom Milchwagen eingesammelt. Im Wechsel und nach Plan übernahmen Landwirte mit Pferden die Fahrten zur Molkerei in Lauterbach (5km). Die Molkerei ist leider nicht mehr in Betrieb. Mit ihrem Strolch-Camembertkäse hat sie den Lauterbacher Strolch in Deutschland bekannt gemacht.
Der Milchwagen wurde auch gern als Mitfahrgelegenheit zum Einkaufen oder Arztbesuch in Lauterbach genutzt.
Inge, meine spätere Frau, kam als Kind in den Ferien oft von Berlin nach Wernges. Hatte ihr Onkel Hein Fahrdienst, so fuhr sie mit ihm zur Molkerei, denn dort gab es viel zu sehen.
Auch ich kann mich daran erinnern, dass ich einige Male mit einem Auftrag oder nur zum Spaß auf der Kutscherbank nach Lauterbach fuhr, einmal auch mit gebrochenem Arm zum Arzt.  
 
 
     







    Melkschemel                                         Milchbank                   Milchkanne       Milchwagen bei Schomeiesch
 

 
In den 60er Jahren setzten sich sehr schnell das wesentlich bequemere  Arbeiten mit der Melkmaschine durch.
In den meisten Haushalten wurde auch ein Teil der Milch zum Eigenverzehr weiterverarbeitet. Daran kann ich mich gut erinnern. In den Sommerferien fuhr ich regelmäßig mit dem Zug oder später auch mit dem Fahrrad nach Birkenbringhausen meinem Geburtsort an der Eder. Opa, Oma und meine Gote (Schwester meiner Mutter) bewirtschafteten dort einen kleinen Nebenerwerbsbetrieb. Mein Patenonkel war Bahnbeamter und half aber auch in der Landwirtschaft.
Wie in Wernges wurde auch hier ein Teil der Milch im eigenen Haushalt genutzt, aber hier war ich als Kind dabei und konnte vieles selbst machen.



Jetzt zur Weiterverarbeitung der Milch
Fast immer wurde die Trinkmilch vorher gekocht. Ein Grund hierfür war vermutlich die Angst vor der auf den Menschen übertragbaren Rindertuberkulose, eine früher häufige und oft tödliche Erkrankung.
Beim Kochen der Rohmilch bildete sich auf der Oberschicht eine dicke Schmandhaut, die konnte man mit einer Gabel abschöpfen und direkt auf das Sirup- oder Geleebrot legen. Köstlich!  Manche wollten den Schmand nicht. Sie fanden sein Aussehen unappetitlich. Gut für mich.

Ungekocht in die Speisekammer (Auch in Wernges hatte niemand einen Kühlschrank.) gestellt wurde die Rohmilch in kurzer Zeit zu wohlschmeckender Dickmilch (Sauermilch), die sich dann auch einige Tage hielt.
Möglich war dies, weil es in den Kuhställen von Bakterien wimmelte und man es mit der Hygiene nicht so genau nahm. Gemolken wurde mit der Hand und im Milcheimer schwammen  manchmal Fliegen und Strohhalme. Da waren dann auch garantiert Milchsäurebakterien dabei, die mit Sicherheit dafür sorgten, dass die frische Milch sehr bald zu Dickmilch wurde. (s. auch Milch)
Mit unserer heutigen keimfreien Milch klappt dieser Prozess nicht. Ungekühlt und offen wird aus ihr eine widerliche Brühe.  
Wurde die Dickmilch in die warme Wohnküche gestellt, so trennte sich  die Matte (Quark) von der Molke. In einem Leinentuch aufgehängt tropfte dann die Molke heraus. Die Matte wurde wie der heutigen Speisequark genutzt. Auf ein Geleebrot gehörte -falls es keinen Schmand gab – für mich eine dicke Schicht Matte.  
Die gut abgehangene Matte verarbeitete meine Oma auch zu Handkäs.  Mit Salz, Pfeffer und Kümmel gewürzt wurde sie zu kleinen Bällchen von etwa 4 cm Durchmesser geformt und mit einem Tuch zugedeckt auf den Küchenschrank zum Reifen gestellt.
Manchmal schafften es die in der Wohnküche reichlich vorhandenen Fliegen bis zum Käse vorzudringen und dort ihre Eier abzulegen. Dann wimmelte es dort von „Würmern“. Die wurden mit Salzwasser abgewaschen und mein Opa sagte: „Wenn die Würmer dran sind, dann ist der Käse gut.“ Ich glaubte das und ließ mir den Käse schmecken.
Aus der Matte machte meine Oma auch Kochkäse. Dabei durfte ich allerdings nur zugucken. Ich kann mich aber erinnern, dass die Matte am Herd erwärmt (nicht gekocht) wurde, bis sie zähflüssig war. Hinzu kamen vermutlich noch verschiedene Zutaten (Butter, Natron, …?) mit Sicherheit aber reichlich Kümmel.

Wir butterten regelmäßig. Dazu wurde die Milch durch eine Zentrifuge gedreht. Was ich immer machen durfte. Dabei erhielt man Rahm für das Butterfass und Magermilch für die Schweine. Der Rahm wurde dann zu Butter und Buttermilch gestampft. Das war anstrengend und dauerte manchmal eine gefühlte Ewigkeit.
Jammern durfte ich, aber aufhören nicht.
Irgendwann hat es aber doch geklappt. Das Kneten der Butter übernahm dann wieder meine Oma. Ich konnte inzwischen ein Glas Buttermilch genießen. Kein Vergleich mit gekaufter Buttermilch.

Aber eine Steigerung war noch möglich:
Noch warmes Brot aus dem Backhaus, mit der frischen Butter dick bestrichen,
reichlich Honig darüber und als Krönung noch
eine ordentliche Schicht Schmand

Davon kann ich heute leider nur noch träumen. Kein Festmenü im teuersten Hotel würde ich dafür eintauschen.
 
       
 
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