Zum Aufpäppeln in Wernges - Wernges

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Zum Aufpäppeln in Wernges

DORFLEBEN > Erste Jahre nach dem Krieg

Nach der Blockade zum Aufpäppeln in Wernges
von Inge, geb. Prediger
Die Blockade in Berlin dauerte von Juni 1948 bis Mai 1949. Diese Zeit kann man eigentlich nur nachvollziehen, wenn man sie in Berlin erlebt hat, auch wenn man wie ich noch ein Kind war. Alle Wege nach Berlin wurden von den russischen Besatzern geschlossen, damit konnten keine Güter, insbesondere Lebensmittel und Brennmaterial, nach Berlin geliefert werden. Der Strom wurde zugeteilt und es konnte sein, dass dies zwischen 2 und 4 Uhr in der Nacht war, dann musste zu dieser Zeit gebügelt oder gekocht werden.

Ja, wenn es denn überhaupt etwas zu kochen gab. Die Rationen für Mehl, Zucker etc. wurden immer kleiner. Auch als Kind wurde es einem bewusst, dass die Blockade „nichts Lustiges“ war und Opfer forderte. Der Winter 1948/49 war sehr kalt, Brennholz fehlte und alle froren. Aber es gab noch meinen Puppenwagen und meinen Roller aus Holz. Vor meinen Augen zerkleinerte mein Vater die Spielsachen und Stück für Stück wanderte in den Ofen.
Gerettet hat uns Berliner die Luftbrücke, die auf Initiative des amerikanischen Militärgouverneurs, General  Lucius D. Clay, ins Leben gerufen wurde und am Anfang hat wohl niemand daran geglaubt, dass diese „Idee“ Erfolg haben würde.

Im Nachhinein ist es für mich  noch heute ein Wunder, wie man fast ein Jahr lang West-Berlin und seine Einwohner komplett aus der Luft versorgen konnte, vergessen kann man das nicht.
Als die Blockade beendet war, brachte mich im Juni 1949 meine Mutter nach Wernges zum „Aufpäppeln“. Für mich war Wernges eine „andere Welt“. Während in Berlin im Hausflur  der Mietshäuser meistens das Schild „Das Spielen der Kinder im Haus und auf dem Hof ist verboten“ angebracht war, konnte man hier überall nach Herzenslust spielen. Staunend beobachtete ich, dass man auch über den Rasen und die Wiesen laufen durfte, auch das war in Berlin nicht erlaubt.

rechts: 1949 in Maar aufgenommen .
So pummelig war ich nach einem   
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halben Jahr Aufpäppeln in Wernges.
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Aber ich vermisste etwas: „Habt ihr denn keine Ruinen zum Spielen?“ Die fand ich  eigentlich noch interessanter als den Rasen und die Wiesen, denn im Sommer konnte man auf den Ruinen rumklettern, im Winter mit dem Schlitten runterfahren und sie waren wunderbar geeignet zum Versteckspielen. Allerdings redeten wir Kinder nie darüber, denn es war wegen der Einsturzgefahr verboten, Ruinen zu betreten und alle Eltern warnten stets davor.
Weiterhin beeindruckten mich im Garten die vielen Sträucher mit Obst, so etwas hatte ich überhaupt noch nicht gesehen. Anfangs wagte ich gar nicht, mir Himbeeren oder Stachelbeeren abzumachen. Vorsichtshalber pflückte ich erst mal nur zwei oder drei Beeren - schließlich war in Berlin alles rationiert.
Am Küchentisch zu den Mahlzeiten saßen wesentlich mehr Leute als ich es von  Berlin her gewohnt war. Und was gab es alles zu essen, ich konnte das gar nicht glauben, so musste es im Schlaraffenland sein. Eigentlich hatte ich ja immer Hunger  und nun konnte ich  essen so viel ich wollte – und das tat ich auch: Suppe „quer durch den Garten“, Klöße, Salat (für mich aber nur mit Essig und Öl), Fleisch, Wurst und Kuchen. Das „Aufpäppeln“ war mit Erfolg gekrönt, ich passte kaum noch in meine Kleider.

Nach ca. einem halben Jahr wurde ich mit einem umgehängten Schild in Fulda in den Bus gesetzt (wahrscheinlich mit Butterbroten versehen), die nette Dame neben mir wurde gebeten, doch auf mich „aufzupassen“. Und so fuhr ich mit meinen 5 Jahren ganz allein von Fulda durch die russische Besatzungszone mit ihren strengen Kontrollen (alle mussten aus dem Bus steigen und wurden überprüft) nach Berlin. Aber, was sollte mir passieren, ich konnte zwar noch nicht lesen, wusste aber meinen Namen und dass ich zu meinen Eltern in Berlin wollte und die warteten auch schon sehnsüchtig auf mich (nehme ich doch an).

Die Wiedersehensfreude meiner Mutter hielt sich bestimmt in Grenzen, denn sie verstand mich nicht mehr, ich sprach inzwischen ein gepflegtes Werngeser Platt. Mein Vater musste dolmetschen, aber nicht lange, dann hatte ich meine „Muttersprache“ wieder angenommen.

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