Wernges im Krieg - Wernges

Direkt zum Seiteninhalt

Wernges im Krieg

GESCHICHTE > 2. Weltkrieg

Diese Epoche möchte ich etwas ausführlicher behandeln. Es gibt nur noch wenige Werngeser, die von dieser Zeit berichten können. Zu ihnen gehören
Fritze Erika, Diggeds Hans, Bredchesch Elsbeth und ihre Schwester Emmi.

1943 Elsbeth u. Emmi                                                                Hans                                Erika

Obwohl sie damals noch Kinder bzw. Jugendliche waren, können sie sich noch sehr gut an die letzten Kriegsjahre und die Zeit danach erinnern. Viele Informationen aus dieser Zeit habe ich von ihnen.

 
Im Krieg
Bereits 1930 gab es in Wernges  60%  Wähler der NSDAP und 1933 waren es 96%. Die meisten Bewohner der kleinen Dörfer in Oberhessen lebten von der Landwirtschaft und versprachen sich wohl von Hitler Verbesserungen für ihren Betrieb (z. B. höhere und stabile Preise). Krieg wollte sicherlich niemand und Hitler gab sich zu dieser Zeit noch friedliebend.
Aber 1939 begann der Krieg. Die wehrfähigen Männer wurden zur Wehrmacht eingezogen. Fast alle Werngeser lebten damals noch von der Landwirtschaft und die Frauen mussten die Arbeit jetzt ohne ihre Männer bewältigen. Das änderte sich aber nach den ersten „Blitzsiegen“. französische Kriegsgefangene, polnische und russische Zivilisten wurden auch in Wernges als Zwangsarbeiter eingesetzt.
Ein freundschaftlicher Kontakt zu den ausländischen Frauen und Männern war verboten. Liebesbeziehungen zwischen ihnen und Deutschen wurden hart bestraft (Zuchthaus, KZ oder Hinrichtung). Beim Essen durften sie nicht am gleichen Tisch sitzen.
Egge Heiche hat mir erzählt, dass ihre Polin Fina zwar mit ihnen am gleichen Tisch saß, aber sofort an ihren Extraplatz ging, wenn jemand an der Haustür war. So war es auch bei Bredchesch und wahrscheinlich in den anderen Häusern. Auch in Wernges gab es überzeugte Nazis, die solche „Verstöße“ gemeldet hätten.
Bei einbrechender Dunkelheit mussten alle in ihrer Unterkunft sein. Diggeds Hans kann sich noch gut an die außergewöhnlich schöne Sofie erinnern. Sie hatte sich an diesem Abend wohl etwas spät von ihrem Freund Stanislaw getrennt und stand nun weinend vor der abgeschlossenen Haustür, man öffnete ihr nicht. Die Jungen konnten ihr helfen. Man holte eine Leiter und Sofie stieg durch ein Fenster ins Haus.
Schlimm war es, wenn eine Zwangsarbeiterin ein Kind bekam. Diese wurden ihnen nach der Geburt weggenommen. Auch in Wernges wurden zwei Kinder geboren, die dann „verschwanden“.
Wie mir glaubhaft erzählt wurde, haben fast alle Werngeser ihre Fremdarbeiter recht gut behandelt. Ausnahmen gab es allerdings auch. So wurde in einem Einzelfall von schlechter Verpflegung (2 kalte Pellkartoffeln mit Most)  und Schlägen berichtet.
Die Schläge gab es von einem Polizisten, der wegen der Zwangsarbeiter (und seiner Liebschaften) oft nach Wernges kam. Sippels Erna war als Kind Augenzeugin, als die etwa 17-jährige Irene auf dem Acker (Buchwaldseck) von diesem Polizisten mit dem Gummiknüppel verprügelt und zu Boden geschlagen wurde. Der Grund war vermutlich, dass Irene lieber in der Gruppe der Harzsammler und nicht auf dem Acker arbeiten wollte.

In einer 1942 errichteten Baracke wurden 12 Polen untergebracht. Sie mussten im Wald Kiefern anritzen und das herausfließende Harz in Töpfen sammeln. In ihrer knappen Freizeit arbeiteten diese Polen auch noch zusätzlich für Lebensmittel bei den Bauern.

Kriegsende
Kurz bevor die Amerikaner in Wernges einrückten gab es einen Tieffliegerangriff. Ziel waren zwei Flakstellungen in unmittelbarer Nähe des Forsthauses. Der 15-jährige Sohn des Revierförsters berichtet von 36 Einschlägen.

Im Dorf hatten Soldaten einen Leiterwagen mit Stroh beladen. Vorgespannt waren zwei von Diggeds beschlagnahmte Pferde, die den Wagen in die Stellung am Steinberg ziehen sollten. Als die Amerikaner angriffen, war das Gespann in der Nähe des Forsthauses und wurde ebenfalls beschossen. Ein Leutnant schaffte es nicht rechtzeitig im Forsthaus Deckung zu nehmen und wurde mehrfach getroffen. Er starb auf dem Transport zum Lazarett in Schlitz.

Ein Pferd hatte einen Schuss durch die Brust bekommen und musste von Pedesch Kurt notgeschlachtet werden. Das Fleisch wurde in Jahns Scheuer an die Evakuierten und Werngeser verteilt.


Derre Dres musste auf Befehl der Wehrmacht mit seinem Pferdegespann einen Transport in die Nähe von Neukirchen übernehmen. Am Ziel angekommen nutzte er eine Gelegenheit und machte sich, gegen den ausdrücklichen Befehl verstoßend, heimlich auf den Rückweg. Da er nicht noch in den letzten Tagen vor dem absehbar verlorenen Krieg riskieren wollte, wegen Wehrkraftzersetzung erschossen zu werden, vermied er Straßen und fuhr möglichst durch Wälder. Als er über Sassen (bei Schlitz) in den Werngeser Wald kam, musste er feststellen, dass die Amerikaner bereits im Anmarsch waren.

Wegen der Tiefflieger blieb er in der Nähe des heutigen Schießstandes im Wald. Ein großes Problem war die Versorgung der Pferde mit Wasser. Er hatte nur ein kleines Gefäß dabei und musste das Wasser portionsweise aus dem Wiesengraben holen.

Foto: Derre Dres mit seinem Gespann

Nach drei Tagen Abwesenheit konnte er es endlich riskieren mit seinem Gespann in das von den Amerikanern besetzte Wernges zu fahren.
In Pedesch Schier ließen die Soldaten der Wehrmacht bei ihrem Abzug Lagerbestände zurück, die dann noch bevor die Amerikaner kamen von den Werngesern „übernommen“ wurden. Dabei war auch ein großer Ballen Stoff mit mit Streifen. In den nächsten Jahren konnte man diese Streifen an  Vorhängen in Wernges bewundern. Fritze Erika kam etwas spät zur Scheuer, immerhin konnte sie noch eine lederne Offizierstasche und ein französisches Lehrbuch mit nach Hause nehmen.
In der Nähe des heutigen Flugplatzes fand man Fallschirmseide. Aus ihr wurden später vor allem Brautkleider gefertigt. Meine Patentante nähte aus Fallschirmseide nicht nur ihr Hochzeitskleid sondern auch noch eine Hose für mich. Ich hatte als Dreijähriger eine Hose aus echter Seide. Wer kann sich das heute noch leisten?
In Bechts Scheuer konnte man sich Radios holen. Elsbeth und Emmi durften sich an den Beutezügen nicht beteiligen. Ihr Vater war Bürgermeister und duldete es nicht. Elsbeth kam trotzdem zu einem Radio. Aber beim Anschließen an das Stromnetz gab es einen Kurzschluss und das für Batteriestrom ausgelegte Radio war kaputt.
weiter

Zurück zum Seiteninhalt